Was ist Antisemitismus?


Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.

Primo Levi, Holocaust-Überlebender (1919–1987)

 

Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.

Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender (1920–2016)

 

Man darf nicht nur dagegen sein, man muss etwas tun.

Sophie Scholl, deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus (1921–1943)

 

Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher.

Hannah Arendt, jüdische deutsch-US-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin (1906–1975)

 

Der Judenstaat ist ein Weltbedürfnis, folglich wird er entstehen.

Theodor Herzl, Vater des modernen Zionismus (1860–1904)


Inhalt

● Einleitung

■ Was ist Antisemitismus?

 ▪︎ Antisemitismus bezieht sich allein auf Juden

■ Das Wesen des Antisemitismus

 ▪︎ Arten von Antisemitismus

 ▪︎ Die Motive des Antisemitismus

■ Antisemitismus und seine lange Geschichte

 ▪︎ Die historischen Entwicklung des Antisemitismus

 ▪︎ Antisemitismus in der Antike bis zum Mittelalter

  • Der Ursprung von Antisemitismus: Wann begann der Hass auf Israel?

  • Frühe Beispiele von Antisemitismus aus der Antike

 ▪︎ Antisemitismus im Mittelalter: Stigmatisierung und Unterdrückung durch kirchliches Recht

 ▪︎ Stigmatisierung und Unterdrückung durch weltliches Recht

 ▪︎ Antisemitismus in der frühen Neuzeit

 ▪︎ Antisemitismus in der Neuzeit

  • Geschichte des Antisemitismus in Deutschland

 ▪︎ Eine Zeitleiste des Antisemitismus

■ Wie äußert sich Antisemitismus

 ▪︎ Wie funktioniert Antisemitismus heute?

  • Die BDS-Kampagne

  • Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik

 ▪︎ Antisemitismusdefinition per 3D-Methode

■ Antisemitismus in Verbindung mit Verschwörungstheorien


Einleitung

Der jüngste Anstieg des unverhohlenen Judenhasses in der ganzen Welt ist unübersehbar. Judenfeindschaft, weithin als Antisemitismus bekannt, ist keine Sache der Vergangenheit. Weit gefehlt. Antisemitismus im Sinne einer prinzipiellen Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Volk ist seit mehr als 2.500 Jahren eines der stärksten Ressentiments der Menschheit. Die Geschichte des Judenhasses reicht sogar bis in die Frühzeit Israels zurück, denn die biblischen Quellen berichten, dass bereits die antiken Großmächte des Nahen Ostens die Vernichtung der Juden nicht zuletzt aufgrund antisemitischer Motive ins Auge fassten (vgl. nur das Buch Ester). Traurigerweise ist dieser uralte Hass auch heute noch lebendig und allgegenwärtig.

 

Die Erfahrungen der letzten Tage haben uns die Aktualität von Antisemitismus rund um den Nahost-Konflikt vor Augen geführt. Antisemitismus hat eine lange Geschichte und gehört bis heute zu den größten Herausforderungen und Problemen unserer Gesellschaft. Der Hass auf Juden ist überall und in jeden Gesellschaftsbereichen verbreitet. Antisemitismus darf nicht unwidersprochen und unbekämpft bleiben, ganz egal ob er sich offline oder online ausdrückt. Um Antisemitismus effektiv entgegen wirken zu können, muss er als solcher erkannt, benannt und bekämpft werden.

 

Antisemitismus ist eine böse Realität in unserem Land und generell auf der Welt. Es ist jetzt höchste Zeit dagegen vorzugehen, denn „Nie wieder“ ist immer JETZT!

 

Was muss man über Antisemitismus wissen? Finden wir es gemeinsam in diesem Beitrag heraus.

 

Was ist Antisemitismus

Antisemitismus ist nicht irgendein Verschwörungsglauben, sondern er bedroht die Grundlage jeder friedlichen freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung.

 

Ein kurzer Blick auf die Definition von „Antisemitismus“ in unseren heutigen Wörterbüchern zeigt uns folgendes:

 

Antisemitismus ist Feindseligkeit, Vorurteile gegen oder Diskriminierung und Ablehnung von Juden aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Kultur.“

 

Diese Definition wird überwiegend als allgemeingültig anerkannt. Damit werden Ausgrenzung, Abwertung, Diskriminierung, Unterdrückung, Verfolgung, Vertreibung bis hin zur Vernichtung jüdischer Minderheiten (Völkermord) gefördert, vorbereitet und/oder gerechtfertigt.

 

Die von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken verabschiedete internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus liefert hier eine wertvolle Orientierung und ist nützliches Instrument bei der Einordnung von Fällen:

 

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings wird Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet. Antisemitismus ist Judenfeindschaft, Judenhass. Eine Person, die solche Anschauungen vertritt, nennt man einen Antisemiten.“

 

Die IHRA ist eine zwischenstaatliche Einrichtung mit dem Ziel, die Forschung und Aufklärung über den Holocaust weltweit zu fördern. Die Arbeitsdefinition zum Begriff des Antisemitismus wird von verschiedenen staatlichen und nicht staatlichen Stellen zur Schulung von Polizei, Staatsanwälten und Richtern genutzt und soll zivilgesellschaftlichen Beobachtern und Pädagogen Orientierung geben.

 

Wie ein hartnäckiges Unkraut hat sich dieser uralte Hass über Jahrhunderte gehalten. Er zeigt sich in vielen Kulturen und Epochen auf unterschiedliche Weise, hat aber immer seine Wurzeln in tief sitzenden Vorurteilen und unbegründetem Hass gegen Juden, nur weil sie Juden sind.

 

Antisemitismus wohnt in den Herzen. Hass ist im Herzen beheimatet; unter anderem durch Ablehnung, Verachtung, Feindschaft, Herablassung und Geringschätzung. All das sind Haltungen und Einstellungsfragen gegenüber Juden. Ob Antisemitismus nach außen offenbar wird, ob er verbal formuliert wird oder in Handlungen mündet, ist eine andere Frage.

 

Ein Schnelltest: Man kann sich und seine Einstellung selbst prüfen. Hierzu vervollständigt man für sich den folgenden Satz: „Juden sind ...“

 

Antisemitismus bezieht sich allein auf Juden

Der Begriff „Antisemitismus“ setzt sich zusammen aus „Anti“ (da-gegen) und „Semiten“.

 

Die Bezeichnung „Semiten“ leitet sich aus der Bibel von der Person Sem ab, dem ältesten der drei Söhne Noahs. Unter den Nachfahren Sems sind Völker wie die Araber, Hebräer, Assyrer, Aramäer und andere alte Volksgruppen, die eine semitische Sprache als Muttersprache hatten. Sie alle sind Semiten. Dennoch bezieht sich der Begriff Antisemitismus nur auf Juden. Auch wenn es sich zuerst ein wenig widersprüchlich anhört, aber Antisemitismus hat mit Semiten kaum etwas zu tun.

 

Den Begriff „Antisemitismus“ prägte letztlich der deutsche Journalist Wilhelm Marr 1879. Im selben Jahr gründete er die Antisemitenliga im Deutschen Kaiserreich, ein Sammelbecken für Judengegner und Judenhasser. Nach Marrs Meinung sollte die neue Form des Judenhasses nicht mehr ausschließlich auf dem Religiösen beruhen und deshalb verwendete er die Bezeichnung auch nicht. Er erschuf eine neue Wortkreation, die damals wissenschaftlich und zeitgemäß klang. Er nahm das Wort „Semiten“, welches sich auf die semitischen Sprachen bezieht und stellte ein ablehnendes „Anti“ voran.

 

Der Begriff „Antisemitismus“ bezeichnet somit seit fast 150 Jahren die Ablehnung alles Jüdischen, auch wenn noch so oft behauptet wird, dass das Wort ja eigentlich etwas ganz anderes bezeichnet. Begriffe haben manchmal eine andere Bedeutung, als das Wort vermuten lässt. Wer also glaubt, Antisemitismus beziehe sich nur auf Semiten, der müsse auch glauben, dass eine Schildkröte eine Kröte ist und ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

 

Der Begriff „Antisemitismus“ entwickelte sich seit dem Holocaust zum Oberbegriff für alle negativen Einstellungen und Verhaltensweisen gegen Juden. Er bezeichnet heute alle historischen Erscheinungsformen der Judenfeindschaft, obwohl der Begriff erst 1879 geprägt wurde. Antisemitismus richtet sich somit ausschließlich gegen Juden, nicht gegen andere Angehörige der semitischen Sprachgemeinschaft.

 

Etwa die Feststellung, Araber könnten nicht antisemitisch sein, da es sich bei ihnen schließlich selbst um Semiten handle, wird in Diskussionen fälschlicherweise immer wieder aufgeführt. Letztlich baut dies auf der Annahme auf, dass bestimmte Vorurteile nicht von jenen vertreten und verbreitet werden können, die selbst davon betroffen sind. Auch wenn dieser Gedanke zunächst durchaus nachvollziehbar erscheinen mag, so ist er in der Realität nicht haltbar. Selbstverständlich können sich auch Juden antisemitisch äußern.

 

Der Verweis auf den Begriff „Semit“ ist eine beliebte Taktik, um von real existierendem Antisemitismus abzulenken. Hierbei wird vergessen, dass Begriffe historisch wachsen und sich in einem spezifischen sozialen Kontext entwickeln. Die verklärte Forderung, man solle doch einfach die Worte für sich selbst sprechen lassen, stellt eine Verzerrung gesellschaftlicher und sprachlicher Realität dar.

 

Obwohl Antisemitismus überwiegend von Nichtjuden begangen wird, kann er auch von selbsthassenden Juden begangen werden.

 

Es ist völlig egal, wer oder was jemand ist. Wenn eine Aussage antisemitisch ist, dann bleibt sie das, egal wer sie geäußert hat. Antisemitische Äußerungen sind kein Bürgerrecht und es fällt auch nicht unter das Recht auf freie Meinungsäußerung, antisemitische oder antizionistische Parolen als Kritik an der Politik Israels zu deklarieren.

 

Antisemitische Taten sind Straftaten, wenn sie als solche vom Gesetz bestimmt sind (z.B. in einigen Ländern die Leugnung des Holocausts oder die Verbreitung antisemitischer Materialien). Straftaten sind antisemitisch, wenn die Angriffsziele, seien es Personen oder Gegenstände – wie Gebäude, Schulen, Gebetsräume, Friedhöfe etc. – deshalb ausgewählt werden, weil sie jüdisch sind, als solche wahrgenommen oder mit Juden in Verbindung gebracht werden.

 

Es gibt oft Begegnung mit Antisemitismus, leider häufig in der Kirche/Gemeinde. Er kommt oft als schwarzer Humor daher und man hört Sätze wie: „Ich sollte das wahrscheinlich nicht sagen, weil es ein Judenwitz ist ...“ Eine oft gestellte Frage lautet: Ist es antisemitisch über sogenannte Juden- oder Holocaustwitze zu lachen? Es gibt einen Unterschied zwischen einem Lachen und einem gehässigen Lachen. Wenn man sich jedoch mit der Thematik des Holocaust auseinandersetzt, wird und muss einem das Lachen vergehen.

 

Das Wesen des Antisemitismus

Die Motive für Antisemitismus haben im Laufe der Geschichte höchst unterschiedliche Gestalt angenommen und wechselten von religiösen Beweggründen hin zu sozialen, biologischen, rassistischen, wirtschaftlichen und zahlreichen anderen Formen. Ein Wesensmerkmal des Antisemitismus ist also einerseits seine historische Kontinuität und andererseits seine enorme Fähigkeit zur Anpassung an den aktuellen zeitgeschichtlichen Rahmen und erfindet sich in jeder Periode neu.

 

Antisemitismus benötigt keine Juden und schon gar kein jüdisches oder israelisches Fehlverhalten, um zu wachsen und zu gedeihen, denn es gab ihn nahezu immer und überall. Selbst dort, wo gar keine Juden leben, finden sich Antisemiten. Keine andere Volksgruppe war durch ihre ganze Geschichte hindurch einem solchen Hass ausgesetzt. Die Juden haben Verfolgung und Völkermordversuche durch die Zeiten überlebt. Sie waren Zielscheibe von Massakern, Pogromen, Zwangsbekehrungen, Ghettoisierung, Vertreibungen und Demütigungen durch die Jahrtausende hindurch.

 

Antisemitismus wird oft als eine Form von Rassismus betrachtet, aber Antisemitismus ist nicht einfach eine Form von Rassismus unter vielen und darf nicht leichtfertig als Unterkategorie desselben aufgeführt werden. Beispielsweise findet man ausgeprägte antisemitische Denkmuster an Orten und in Kulturen, in denen es so gut wie gar keine Juden gibt. Das gilt für große Teile der islamischen Welt, aber beispielsweise auch für Japan. Ebenso ist der Holocaust nicht einfach ein weiterer Völkermord unter vielen. Er unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von allem, was je dagewesen ist. Juden waren auch nicht einfach eine von vielen Opfergruppen der Nationalsozialisten neben Schwarzen, Homosexuellen, Behinderten und anderen. Hier werden die Unterschiede übersehen. Es gab niemals konkrete Pläne, weltweit die Homosexualität auszurotten, wie das beim Judentum der Fall war.

 

Die Geschichte des jüdischen Volkes ist einzigartig. Man wird auf der Welt nichts Vergleichbares finden. Sie ist voller Besonderheiten, die man weltlich betrachtet nicht erklären kann. Voller Wunder. Das Überleben und die Existenz des Staates Israel ist ein Wunder. Das Blühen einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft in einer Demokratie inmitten islamischer Staaten im Nahen und Mittleren Osten ist ein Wunder. Die Wiederbelebung der hebräischen Sprache ist ein Wunder.

 

Die Motive des Antisemitismus

Die propagierten Motive sind vielfältig und mit den aktuellen Zeitströmungen meist kompatibel: Antisemitismus ist z.B. 

 

• „religiös“ begründet, gestützt auf christliche Theologie (z.B. den biblisch unhaltbaren Gottesmord-Vorwurf oder die Ersatztheologie) oder islamische Theologie (z.B. Vorwurf des Koran in den Suren 2:63-66, 5:59-60 und 7:66, Juden seien Nachkommen von Affen und Schweinen). Aus islamischer Sicht muss der Nahe Osten von allen „Ungläubigen“ befreit werden;

 

• „ökonomisch“ motiviert (Beschuldigung der Juden als Urheber globaler wirtschaftlicher Strukturprobleme);

 

• „sozial“ motiviert (Bezichtigung der Juden des gesellschaftlichen Parasitentums, der Exklusivität, des Auserwählungswahns sowie der Unfähigkeit zur Anpassung und gesellschaftlichen Integration);

 

• „biologisch“-rassistisch-ethnisch (Diffamierung der Juden als minderwertig im Sinne der Rassentheorien, Träger dekadenten Erbguts insbesondere hinsichtlich unveränderlicher, negativer charakterlicher Eigenschaften);

 

• „politisch“-ideologischer Natur (z.B. Vorwurf des Strebens nach Weltherrschaft, Weltverschwörung des „Weltjudentums“);

 

• „kulturell“ begründet (z.B. Vorwurf der „Unfähigkeit“ zu Kunst, Kultur und Wissenschaft, trotz des sehr hohen Anteils von Juden in diesen Bereichen);

 

• „vom Vorwurf des parasitären Fremdkörpers und des Störenfrieds geprägt“: Eines der Hauptmotive für die Ablehnung Israels ist weltweit der Vorwurf des Fremdkörpers bzw. des Friedensstörers („Gefahr für den Weltfrieden“).

 

Gemeinsame Merkmale dieser Ausprägungen des Antisemitismus sind die Verkennung der Tatsachen und die Aberkennung elementarer Menschenrechte gegenüber dem jüdischen Volk (z.B. Recht auf freiheitliche Existenz; als Volk/Staat, Menschenwürde, Gleichwertigkeit).

 

Arten von Antisemitismus

Antisemitismus, die Feindschaft gegen Juden, äußert sich in verschiedenen Arten:

 

• Antijudaismus (Feindschaft gegen das Jüdische);

• Antizionismus (Feindschaft gegen die zionistischen Idee, dass Juden in ihr Land zurückkehren);

• Antiisraelismus (Feindschaft gegen den heutigen Staat Israel).

 

Alle haben gemeinsam, dass ihnen eine Anti-Haltung gegen Juden bzw. gegen alles Jüdische zugrunde liegt.

 

Hinzu kommt sekundärer, moderner, neuer und islamischer beziehungsweise islamistischer Antisemitismus, jeweils umrankt von Debatten, was diese oder jene Form von Antisemitismus ausmacht und ob sie überhaupt existiert.

 

Antisemitismus und seine lange Geschichte

Wenn man sich dem Antisemitismus im 21. Jahrhundert widmet, ist es unerlässlich in die Geschichte zurückzugehen und sich mit den Anfängen der Judenfeindschaft auseinanderzusetzen. Nur so kann man Zusammenhänge verstehen. Erstmals begegnet uns die Ablehnung und Feindseligkeit schon vor mehreren tausend Jahren. Bereits zu biblischen Zeiten gab es Anfeindungen. Durch die Ablehnung von Polytheismus (der Vielgötterei) waren Juden in Babylonien, Persien oder auch im Römischen Reich schon früh zu Feinden ernannt worden. Der Antisemitismus als destruktive Geisteshaltung beeinflusst seit tausenden Jahren bis heute in unterschiedlicher Intensität auch die Kultur Europas und weite Teile der Kirche, mit schwerwiegenden Folgen.

 

Die historischen Entwicklung des Antisemitismus

Viele sehen die Wurzeln des modernen Antisemitismus sowohl im heidnischen Altertum als auch im frühen Christentum. Man identifiziert sechs Stufen in der historischen Entwicklung des Antisemitismus:

 

1. Vorchristlicher Antijudaismus im antiken Griechenland und Rom, der in erster Linie ethnisch motiviert war;

2. Christlicher Antisemitismus in der Antike und im Mittelalter, der religiöser bzw. geistlicher Natur war und sich bis in die Neuzeit erstreckt hat;

3. Traditioneller muslimischer Antisemitismus, der – zumindest in seiner klassischen Form – darauf beruhte, dass Juden eine geschützte Klasse waren;

4. Politischer, sozialer und wirtschaftlicher Antisemitismus der Aufklärung und des nachaufklärerischen Europas, der den Grundstein für den rassistischen Antisemitismus legte;

5. Rassenantisemitismus, der im 19. Jahrhundert aufkam und im 20. Jahrhundert im Nationalsozialismus gipfelte;

6. Der zeitgenössische Antisemitismus, der von einigen als der neue Antisemitismus bezeichnet wird.

 

Diese sechs Phasen können in drei Kategorien zusammengefasst werden:

1. Der antike Antisemitismus, der in erster Linie ethnischer Natur war;

2. der christliche Antisemitismus, der religiös war, und

3. der rassistische Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts.“

 

Antisemitismus in der Antike bis zum Mittelalter

Der Antijudaismus als solcher entstand etwas später durch die Kombination aus der christlichen Theologie und der bereits vorhandenen Feindseligkeiten gegenüber Juden. Den Antijudaismus befeuerte die Abspaltung der frühen Christen vom Judentum. Hiermit begann eine Form von Konkurrenzsituation  um den wahren Glauben. Das Christentum sah sich bald als das wahre Israel an und begann den Juden ihren Bund mit Gott abzusprechen.

 

Seit dem Frühchristentum hatte sich ein negatives Judenbild etabliert, und die verschiedenen antijüdischen Mythen und Klischees, aus denen es sich speiste, prägten die Geisteshaltung und drangen tief in die Mentalität der europäischen Gesellschaften ein. Dabei blieben bis in die frühe Neuzeit hinein religiös und wirtschaftlich motivierte Vorurteile vorherrschend.

 

Am Anfang der traditionellen Judenfeindschaft stand der konflikthafte Ablösungsprozess der frühen Christen vom Judentum, der sich im Konkurrenzkampf um den wahren Glauben, um Anhängerschaft und um Anerkennung durch Rom manifestierte. Hieraus entstand eine antijüdische Tradition, die teilweise an innerjüdische Streitigkeiten, wie auch im Neuen Testament gespiegelt, anknüpfen konnte. Das Selbstverständnis der Christen als „Wahres Israel“ im Neuen Bund führte dazu, den Juden die Zugehörigkeit zum Gottesbund abzusprechen. Ihnen wurde vorgeworfen, Jesus als Messias verworfen, ihn verraten und gekreuzigt zu haben. Damit waren sie nach christlicher Anschauung nicht nur als Feinde des wahren Glaubens, sondern als Widersacher Jesu und des Christentums par excellence zu betrachten. Als Gottes- oder Christusmörder, so die Überzeugung in weiten Teilen der Alten Kirche, waren sie dazu verdammt, heimatlos in der Welt umherzuirren und durch ihre elende Existenz die Wahrheit des Christentums zu bezeugen.

 

Diese theologisch-heilsgeschichtlich begründete Auffassung vom Judentum und von der jüdischen Existenz in der Diaspora ging als fester Bestandteil der kirchlichen Glaubenslehre in das christlich-westliche Denken ein. Erste und entscheidende Ausprägungen erhielt der religiöse Antijudaismus bereits in frühchristlichen Schriften und in den Werken der Kirchenväter. Von hier aus führt eine direkte Linie zur mittelalterlichen Theologie.

 

Der Ursprung von Antisemitismus: Wann begann der Hass auf Israel?

Wenn man sich einmal auf die Suche nach den ältesten Quellen und Belegen für Antisemitismus begibt, macht man eine interessante Entdeckung. Die ersten Berichte finden wir in der Bibel, und zwar exakt zu dem Zeitpunkt, als „Israel“ von einer Person, Jakob, und seinen Nachkommen zu einem Volk herangewachsen war. Unabhängig davon, ob jemand dem biblischen Bericht Glauben schenken will oder nicht, handelt es sich hier um die älteste Erwähnung von Antisemitismus mit vielen seiner Facetten. Deshalb möchten wir auf den Bericht genauer eingehen:

 

2. Mose 1,8-16.22

8 Da kam ein neuer König auf über Ägypten, der nichts von Joseph wusste. 9 Der sprach zu seinem Volk: Siehe, das Volk der Kinder Israels ist zahlreicher und stärker als wir. 10 Wohlan, lasst uns kluge Maßnahmen gegen sie ergreifen, dass sie nicht zu viele werden; sie könnten sonst, wenn sich ein Krieg erhebt, womöglich zu unseren Feinden übergehen und gegen uns kämpfen und aus dem Land ziehen! 11 Darum setzte man Sklaventreiber über sie, um sie durch Lasten zu bedrücken; und sie bauten dem Pharao die Vorratsstädte Pitom und Ramses. 12 Je mehr sie aber [das Volk] bedrückten, desto zahlreicher wurde es, und desto mehr breitete es sich aus, sodass ihnen vor den Kindern Israels graute. 13 Darum zwangen die Ägypter die Kinder Israels mit Gewalt zum Dienst, 14 und sie machten ihnen das Leben bitter mit harter Zwangsarbeit an Lehm und Ziegeln und mit allerlei Feldarbeit, lauter Arbeiten, zu denen man sie mit Gewalt zwang. 15 Und der König von Ägypten redete mit den hebräischen Hebammen, von denen die eine Schiphra, die andere Pua hieß, 16 und er sprach: Wenn ihr die Hebräerinnen entbindet, so seht auf der Stelle nach; wenn es ein Sohn ist, so tötet ihn, ist es aber eine Tochter, so lasst sie leben! 22 Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft in den Nil, aber alle Töchter lasst leben.

 

In diesen wenigen Versen finden wir die wichtigsten Wesensmerkmale und Funktionsweisen von Antisemitismus.

 

- Unwissenheit

Der neue König/Pharao wusste nichts über die Geschichte, die Ägypten mit den Hebräern verband und die mit Josef begonnen hatte. Es war eine Geschichte von fruchtbarer Zusammenarbeit, in der beide Völker einander ihr Überleben verdankten, eigentlich ein Musterbeispiel friedlicher Koexistenz. Ägypten hatte den Wirtschaftsflüchtlingen aus Kanaan bereitwillig Asyl gewährt. Der damalige Pharao hatte ihnen persönlich Wohnraum in der besten Gegend zugewiesen und Arbeitsplätze in seinen eigenen Betrieben angeboten 1Mo 47,1-6). Vielleicht war der neue Pharao mit der Asylpolitik seines Vorgängers nicht einverstanden? Schließlich musste er sich jetzt damit auseinandersetzen, dass der 70-Seelen-Stamm unter seiner Amtszeit fröhlich dabei war, zu einer Großstadt heranzuwachsen. Mag sein, dass manche Ägypter ihren Unmut bereits in montäglichen Nilgida-Demonstrationen ausdrückten. Vielleicht wollte der König einfach nichts davon wissen, dass die Ausländer seinem Land nur genutzt und nicht geschadet hatten?

 

- Lügen

Das Oberhaupt der Supermacht Ägypten behauptete, die kleine Volksgruppe der Hebräer wäre „zahlreicher und stärker“ als die Bio-Ägypter. Eine einfache Volkszählung hätte zeigen können, wie abwegig eine solche Annahme war. Aber vielleicht gab es ja Hochrechnungen, laut denen die Hebräer bei gleichbleibenden Geburtenraten bis zum Jahre 1000 v. Chr. in der Mehrheit gewesen wären.

 

- Propaganda

Diese und die folgenden Lügen „sagte“ der König „zu seinem Volk“. Das lief damals ganz ohne Fernsehen, Radio und Internet, aber es gab offensichtlich Mittel und Wege für flächendeckende Volksverhetzung. Wenn so etwas in den Nachrichten von ranghohen Politikern über Minderheiten gesagt wird, versetzt es besonders die privilegierten, gut situierten Teile der Mehrheitsgesellschaft in Angst und Schrecken. Denn die haben wirklich etwas zu verlieren und außerdem die Zeit, die Mittel und die Muße, ihre Besorgnis lautstark kundzutun. Nun dachte man über Möglichkeiten nach, das Wachstum des unerwünschten Völkchens zu stoppen, „damit es sich nicht noch weiter vermehrt“.

 

- Verschwörungstheorien

Da weder die gemeinsame Vergangenheit noch die aktuellen Kriminalitätsstatistiken noch die Bevölkerungszahlen irgendwelche Maßnahmen gegen die Hebräer rechtfertigen konnten, mussten furchterregende Zukunftsszenarien entworfen werden: Im Falle eines Krieges könnten die wenigen tausend Kleinviehhirten theoretisch zum Feind (weit und breit keiner in Sicht) überlaufen und die ägyptische Streitmacht überrennen.

 

- Zwangsarbeit

Die Ägypter setzten Arbeitsaufseher über das Volk, „um es mit ihren Lastarbeiten zu drücken.“ In diesem Fall geht es nicht nur um Zwangsarbeit, sondern um etwas, das den Antisemitismus und die „Arbeit“ der Juden auch in den Lagern während der NS-Zeit von anderer Zwangsarbeit unterscheidet: Zwangsarbeiter sterben, weil sie unter schrecklichen Bedingungen arbeiten müssen und ihr Leben dabei nicht viel zählt. Die Juden aber sollten arbeiten, um zu sterben. Das Ziel der Arbeit war der Tod, nicht umgekehrt. Das Volk sollte durch Arbeit dezimiert werden.

 

- Angst

Die Angst vor den Hebräern wurde durch Propaganda und Lügen geschürt. Sie hatte aber noch einen anderen Grund: Dieses Volk war einfach nicht unterzukriegen. Es ging sogar aus jeder neuen Unterdrückungswelle gestärkt hervor. „Je mehr sie es bedrückten, desto mehr nahm es zu.

 

Ägypten sollte diese Erfahrung 1948 und 1967 noch einmal machen. Sie waren sich beide Male sicher, dass sie gemeinsam mit anderen arabischen Verbündeten das junge Israel mit Leichtigkeit erobern könnten. Das hatten sie im Vorfeld auch lauthals verkündet. Umso mehr waren sie in Erklärungsnot, als Israel beide Kriege nicht nur überlebte, sondern mit Gebietsgewinn daraus hervorging. So kam es, „dass sie ein Grauen erfasste vor den Söhnen Israels“. Es mussten neue Lügen und Verschwörungstheorien her, um das eigene Scheitern zu erklären.

 

- Völkermord

Die hebräischen Hebammen (wenn man annimmt, dass es tatsächlich nur die beiden namentlich genannten gab, lässt das Rückschlüsse auf die Größe des Volkes zu) widersetzten sich dem Befehl, die neugeborenen Jungen zu töten. „Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk“, die männlichen Babys der Hebräer eigenhändig zu ertränken. Wir sehen hier den ersten versuchten Völkermord am jüdischen Volk gleich nach seiner „Geburt“. Es erforderte viel Zivilcourage, sich den Anordnungen des ägyptischen Diktators zu widersetzen. Das Gesetz war laut biblischem Bericht über einen längeren Zeitraum in Kraft (2Mo 2,2).

 

Frühe Beispiele von Antisemitismus aus der Antike

Hier einige Beispiele aus der Antike:

Auszug aus Ägypten

Weil die Israeliten zu einem großen Volk in der Sklaverei in Ägypten heranwachsen, ordnete der Pharao an, ihre neugeborenen Jungen zu töten (2Mo 1,8-22). Weil der Pharao das Volk nicht ziehen lassen will, schickt Gott den Ägyptern zehn Plagen, die Mose dem Pharao ankündigt (2Mo 5–12). Nach ihrem Auszug aus Ägypten werden die Israeliten von den Ägyptern verfolgt. Aber durch ein Wunder öffnet ihnen Gott einen Weg mitten durch das Meer (2Mo 14–15).

 

722–720 v. Chr.

Die assyrische Gefangenschaft (oder das assyrische Exil) ist der Zeitraum in der Geschichte des alten Israel (Nordreich) und Juda (Südreich), in dem mehrere tausend Israeliten von Assyrien als Gefangene deportiert wurden. Das Nordreich Israel (10 Stämme) wurde vom neuassyrischen Reich erobert.

 

586 v. Chr.

Während der Regierungszeit von König Nebukadnezar II. zerstört das neubabylonische Reich den ersten Tempel in Jerusalem und nimmt das Königreich Juda und 10.000 jüdische Familien gefangen. Diese werden nach Babylon deportiert.

 

400 v. Chr.

Haman versucht im persischen Reich einen Völkermord an den Juden (Purim).

 

ca. 169 v. Chr. – Antiochus IV Epiphanes, plündert und schändet den Tempel in Jerusalem

Im ersten und zweiten Makkabäerbuch des Deuterokanonischen Buches wird berichtet, dass Antiochus IV Epiphanes versucht, in Jerusalem eine Zeusstatue zu errichten. Das Chanukkafest erinnert an den Aufstand der Makkabäer gegen diesen Versuch.

 

139 v. Chr.

Gnaeus Cornelius Scipio Hispanus vertreibt alle Juden aus der Stadt Rom.

 

124 v. Chr.

Die Frau mit den sieben Söhnen war eine jüdische Märtyrerin, die in 2 Makkabäer 7 und anderen Quellen beschrieben wird. Hier heißt es, dass Antiochus IV. Epiphanes kurz vor dem Aufstand des Judas Makkabäus (2 Makkabäer 8) eine Mutter und ihre sieben Söhne verhaftete und sie zwingen wollte, Schweinefleisch zu essen. Als sie sich weigerten, folterte und tötete er die Söhne einen nach dem anderen.

 

63 v. Chr.

12.000 Juden sterben und viele weitere werden infolge der Eroberung des Ostens durch den römischen General Pompejus in die Diaspora geschickt.

 

59 v. Chr.

Cicero kritisiert, dass Juden in öffentlichen Versammlungen zu einflussreich sind. Er bezeichnet Juden und Syrer auch als „Rassen, die als Sklaven geboren wurden“.

 

37 v. Chr.

Herodes wurde von den Römern zum König Judäas eingesetzt. Er erlangte in Judäa viel Einfluss und regierte innenpolitisch fast autonom. Im Jahr 66 n. Chr. brach ein jüdischer Aufstand los, der dann schließlich durch Titus im Jahre 70 n. Chr. niedergeschlagen wurde. Die römischen Streitkräfte machten Jerusalem dem Erdboden gleich, der Tempel wurde vollkommen zerstört, Hunderttausende wurden getötet. Diese nationale Katastrophe im Jahr 70 n. Chr. führte zur Zerstreuung des jüdischen Volkes in alle Welt (vor allem als römische Sklaven) und damit zum Beginn des 2. Exils. Damit endete auch die 2. Tempelperiode.

 

Antisemitismus im Mittelalter: Stigmatisierung und Unterdrückung durch kirchliches Recht

Seit das Christentum im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben worden war, setzte sich die Kirche nicht nur auf religiöser Ebene mit dem Judentum auseinander, sondern beschnitt auch den rechtlich gesicherten Raum der jüdischen Minderheit als „erlaubte Religion“. Der offensichtlichen Fortexistenz des Judentums begegnete die Kirche mit der Theorie einer fortwährenden Zeugen- und Dienerschaft der „blinden“ Juden für die christliche Lehre. Dass die Juden die „hebräische Wahrheit“ weiterhin lesen, ohne sie in christlichem Sinne zu verstehen, erlaubte eine rechtlich begründete Akzeptanz der Juden, aber in minderem sozialen Rang. Auf der Basis des christlich-jüdischen Glaubensgegensatzes entstand in einem Jahrhunderte währenden Prozess die strenge Judengesetzgebung des kanonischen Rechts.

 

Auf Synoden und Konzilien wurden Gesetze erlassen (u.a. das Verbot der Konversion zum Judentum, das Verbot der Ehe zwischen Christen und Juden oder der gemeinsamen Speiseeinnahme), die auf eine strenge Separierung von Christen und Juden zielten und letztere immer mehr aus dem öffentlichen Leben verdrängen sollten.

 

Zwischen den Jahren 1095–1291 n. Chr. fanden die Kreuzzüge statt. Einen ersten Höhepunkt erlebten diese 1095, als die Juden der rheinischen Städte den Kreuzfahrertruppen zum Opfer fielen und entweder zwangsgetauft oder getötet wurden. Sie sind bis heute ein großer Schandfleck in der Kirchengeschichte.

 

1066 n. Chr. kreuzigte eine muslimische Menschenmenge den jüdischen Regierungsbeamten Joseph Ibn Naghrela in Granada und im weiteren Verlauf wurden im Massaker von Granada rund 4.000 Menschen jüdischen Glaubens getötet. Beinahe die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt. Dieses Massaker war das erste anti-jüdische Pogrom in Europa.

 

Mit dem IV. Laterankonzil 1215 erreichte die gesellschaftliche Absonderung von der christlichen Bevölkerung einen weiteren Höhepunkt. Die Juden sollten fortan auch äußerlich durch Kennzeichnung der Kleidung als Angehörige des von Gott verworfenen Volkes kenntlich gemacht werden. Die völlige Separierung der jüdischen von der christlichen Bevölkerung wurde schließlich 1267 auf der Synode von Breslau gefordert. Juden sollten nunmehr ausschließlich in eigens für sie bestimmten Vierteln wohnen dürfen. Tatsächlich wurde in der Folge die Bewegungsfreiheit der Juden immer mehr eingeengt und entstanden, wenn die Juden nicht ohnehin vertrieben wurden, seit dem 15. Jahrhundert vielerorts hermetisch ausgegrenzte Wohngebiete (zunächst Frankfurt 1462). Die Existenz der Juden am Rand der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Gesellschaft entsprach damit zunehmend dem Judenbild der christlichen Glaubenslehre.

 

Für die Juden, die als Minderheit in der christlich-westlichen Gesellschaft lebten, wirkte sich der religiöse Antijudaismus in doppelter Weise verheerend aus. Zum einen trieben kirchliche Institutionen Juden immer wieder zur Zwangstaufe, unterwarfen sie der Inquisition und beteiligten sich selber unmittelbar an Judenverfolgungen. Zum anderen leistete die Kirche antijüdischen Einstellungen und gewaltsamen Ausschreitungen auch indirekt Vorschub, da das von ihr geformte negative Judenbild Eingang in Liturgie, Predigten, Gebete und Katechismen fand. Mit der religiösen Durchdringung der westlichen Welt verbreitete sich die Judenfeindschaft zunehmend über den Kreis der Theologen hinaus und wurde fester Bestandteil der Volksfrömmigkeit. Antijüdische Mythen und Vorurteile prägten sich tief in Bewusstsein und Mentalität der christlichen Bevölkerung aller sozialen Schichten und bildeten den Ausgangspunkt zahlreicher gewaltsamer Ausschreitungen und Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung.

 

Volksfrömmigkeit und Aberglaube richteten sich vor allem seit Mitte des 12. Jahrhunderts gegen die Juden und fanden, zunächst in England und Frankreich, dann auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern konkreten Ausdruck in den Vorwürfen des Ritualmords und des Hostienfrevels. Juden wurden bezichtigt, die Tötung Christi stets aufs Neue zu wiederholen, indem sie die Hostie als Leib Christi verletzten oder Christenkinder zu Tode marterten, um Blut für ihre religiösen Rituale zu gewinnen. Diese und andere Mythen wurden im Verlauf des gesamten Kirchenjahres durch Feste, Wallfahrten, Predigten, Volkserzählungen und Fastnachtsspiele, aber auch in der bildlichen und künstlerischen Darstellung immer wieder tradiert und entwickelten sich in der Volksfrömmigkeit zu wirkmächtigen Vorstellungen, die bis ins 20. Jahrhundert hinein Anlässe für kollektive Gewaltausbrüche gegen Juden lieferten.

 

Im 14. Jahrhundert, als durch die Pest in Europa bis zu 25 Millionen Menschen umkamen, kam der Mythos der Brunnenvergifter-Juden auf. Gewalttätige Pogrome gegen Juden waren die Folge.

 

Als weiteres, seit dem 12. Jahrhundert wirksames Moment kam die Verknüpfung von religiösen mit wirtschaftlichen Motiven hinzu. Von hier rührt das auch in der Moderne noch wirksame Stereotyp von den Juden als „Schacherern“ und „Wucherern“ her. Vom Landbesitz und Ackerbau, den christlichen Kaufmannsgilden und Handwerkszünften ausgeschlossen, wurde die Erwerbstätigkeit der jüdischen Bevölkerung zunehmend auf den Klein-, Hausier- und Trödelhandel beschränkt. Eine besondere Rolle spielte der Geldhandel gegen Zins, der nach der kirchlichen Dogmatik gegen die göttliche Lehre verstieß und deswegen der christlichen Bevölkerung verboten bleiben sollte. Während des 14. Jahrhunderts verurteilten Päpste und Konzilien wiederholt diesen als „jüdischen Wucher“ verschrienen Geldhandel und leisteten auf diese Weise den Animositäten christlicher Schuldner gegenüber ihren jüdischen Gläubigern Vorschub. Dadurch kristallisierte sich immer mehr das Stereotyp vom verstockten und geldgierigen Juden heraus, der die Notlage seiner christlichen Umwelt erbarmungslos ausnutze. Dieses Bild drang durch Legende und Sage, Volksroman und Karikatur tief in das Weltbild der Menschen ein und fand seine wohl prominenteste Ausgestaltung in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“.

 

Stigmatisierung und Unterdrückung durch weltliches Recht

Neben dem kanonischen wirkte auch das weltliche Recht maßgeblich an der zunehmenden Stigmatisierung und Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben mit. Mit der Schwächung des Kaisertums im 13. und 14. Jahrhundert büßte das kaiserliche Judenrecht, das u.a. die Schutzpflicht gegenüber der jüdischen Minderheit beinhaltete, erheblich an Geltung ein und ging zunehmend an kleinere Territorialherren über, wobei der Schutzgedanke immer mehr in den Hintergrund trat und fiskalischen Interessen an den Juden Platz machte. Eine Vielzahl unterschiedlicher landesherrlicher oder reichsstädtischer Judenordnungen regelte auf meist rigide und restriktive Weise bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die rechtliche Lage der Juden. Für Schutz und Aufenthaltsrecht hatten diese erdrückende Sonderabgaben zu leisten und wurden mit hohen Steuern belegt. Gleichzeitig waren sie der Willkür der jeweiligen Landesherren ausgesetzt, die sie jederzeit ausweisen konnten, wobei neben fiskalischen und wirtschaftlichen Erwägungen auch religiöse Motive weiterhin eine wichtige Rolle spielten.

 

Die Aushöhlung des kaiserlichen Judenschutzes, wie auch die religiöse, soziale und ökonomische Stigmatisierung der Juden führten im späten 13. und 14. Jahrhundert zu Verfolgungswellen, deren Ausmaß allein in der Schoah des 20. Jahrhunderts übertroffen wurde. Ihnen fielen die meisten jüdischen Gemeinden des Mittelalters zum Opfer. Nachdem die Juden 1290 bereits aus England und im Verlauf des 14. Jahrhunderts aus Frankreich sowie sukzessive aus den meisten deutschen Städten und vielen Territorien ausgewiesen worden waren, mussten zum Ende des 15. Jahrhunderts schließlich auch die sephardischen (spanischen) Juden Spaniens und Portugals die iberische Halbinsel zwangsweise verlassen. Von den nordeuropäischen (aschkenasischen) Juden wanderten viele nach Osteuropa ab, doch kam es auch zu einer Binnenmigration in kleinere Städte und ländliche Gemeinden der jeweiligen Umgegend. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts verlagerte sich der Schwerpunkt jüdischen Lebens wieder stärker in den mitteleuropäischen Raum.

 

Antisemitismus in der frühen Neuzeit

Auch Humanismus und Reformation sowie das anschließende Zeitalter der Konfessionalisierung brachten keine grundsätzliche Wende in der Haltung der Kirche gegenüber den Juden. Sie bekannte sich weiterhin zur Lehre der Kirchenväter mit all ihren antijüdischen Implikationen. Die von Luther ausgehende Reformation schien nur anfänglich andere Wege zu gehen und ein entspannteres Verhältnis zwischen Christen und Juden einzuleiten. In seinen frühen Schriften hatte Luther zunächst für einen „freundlicheren Umgang“ mit den Juden geworben und sich gegen Ritualmordvorstellungen und Zwangstaufen ausgesprochen. Als sich der auf diesem Weg erhoffte Missionserfolg gegenüber den Juden jedoch nicht einstellte und er die Juden nicht für seine neue Lehre zu gewinnen vermochte, kam es zu einer neuen ideologischen Verhärtung der Standpunkte, die in Luthers 1543 publizierter Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ Programm wurde. Darin griff Luther sämtliche Verleumdungen des Mittelalters wieder auf und schlug neben der theologischen Verdammung vor, jüdische Häuser und Synagogen zu verbrennen und das jüdische Schriftgut zu konfiszieren. Solche Gedanken wurden von der protestantischen Orthodoxie ebenso wie vom naiven Volksglauben aufgenommen, finden sich in ähnlicher Weise aber auch weiterhin auf katholischer Seite.

 

Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) und seiner starren konfessionellen Konfrontation entspannte sich allmählich auch das christlich-jüdische Verhältnis, womit jedoch keineswegs gleich eine Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte verbunden war. Die Intensität der antijüdischen Tendenzen hielt weiter an, doch schoben sich zunehmend wirtschaftliche Motive in den Vordergrund. Die eigentlichen antijüdischen Impulse gingen jetzt vor allem von den städtischen Zünften aus, welche die wirtschaftliche Konkurrenz der Juden fürchteten. Zwar bedienten sie sich der herkömmlichen religiösen Argumente, instrumentalisierten diese aber als Legitimation für ihre überwiegend ökonomisch begründeten antijüdischen Agitationen.

 

Antisemitismus in der Neuzeit

Das zu Beginn des 18. Jahrhunderts publizierte und von antijüdischen Stereotypen geprägte Werk „Entdecktes Judenthum“ des Heidelberger Orientalisten Johann Andreas Eisenmenger bildete zu dieser Zeit eher eine Ausnahme. In vielen anderen theologischen Werken machte sich hingegen eine entspanntere Geisteshaltung bemerkbar, die besonders vom humanistisch inspirierten christlichen Interesse am Judentum befördert wurde. Dieses Interesse beruhte jedoch nur bedingt auf einem neuen Geist der Toleranz, sondern wurde letztlich von der Hoffnung getragen, durch das bessere Kennenlernen des Judentums Missionserfolge zu erzielen. Dahinter stand die Überzeugung von einer in der Endzeit erwarteten Bekehrung aller Juden und die daraus resultierende Folgerung einer schon jetzt bestehenden Pflicht zur Missionierung. Vor allem in pietistischen Kreisen fand diese Auffassung weite Verbreitung.

 

Im Zuge der Aufklärung geriet das Christentum im 18. Jahrhundert selbst in die Kritik, da es deren rationalistischen Auffassungen von Vernunft und Naturgesetzen widersprach. Doch auch das Judentum als Ursprung und Basis der christlichen Religion wurde von den Aufklärern attackiert, und die biblische Geschichte Israels erschien in ihren Augen als Ansammlung von Sittenlosigkeit und Aberglauben. Die Idee des säkularen Staates, der Toleranzgedanke und der Grundsatz von der Rechtsgleichheit aller Menschen stellte jedoch auch die Frage nach der Rolle der Juden neu und leitete so die mit der Emanzipation im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgte gleichberechtigte Teilhabe der Juden am gesellschaftlichen und politischen Leben ein. Verkannt werden darf dabei jedoch nicht, dass die Zahl der Aufklärer äußerst klein und ihre Haltung den Juden gegenüber nicht frei von Ambivalenzen und versteckten antijüdischen Ressentiments war. Auch im 18. Jahrhundert noch waren antijüdische Mythen in großer Dichte im Alltag des größten Teils der christlichen Bevölkerung präsent und die Judenfeindschaft blieb weitgehend im christlich-religiösen System verankert, dessen Geltungsbereich und Gültigkeit für weite Bevölkerungsteile weiterhin unangefochten blieb.

 

Im 19. Jahrhundert begann der Antisemitismus in Österreich salonfähig zu werden. Wenig später war für den christlich-sozialen Bürgermeister Wiens, Karl Lueger, der Antisemitismus ebenfalls zentraler Bestandteil seines Programms. Sein Judenhass war so groß, dass der junge Adolf Hitler ihn als Vorbild sah. Lueger war ein Politiker modernster Prägung. Er konnte Massen begeistern und hinter sich vereinen. Was zu dieser Zeit kaum jemand so gelang wie ihm. Hitler ließ der sprachlichen Gewalt des Lügers gegenüber Juden wenige Jahrzehnte später schließlich blutige Taten folgen. Mindestens 6 Millionen Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

 

Mit dem 11. September 2001 begann eine neue Gewaltwelle, bei der die Juden als das Übel identifiziert wurden. Bei den terroristischen Attacken auf das World Trade Center in New York starben 3.000 Menschen. Hass, Paranoia und Verschwörungstheorien waren für diese Tat ausschlaggebend. Hierbei ging man von einer weltweiten Verschwörung aus. Also, dass die Juden die wahren Strippenzieher hinter allen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen sind. Die USA würden von den Juden gelenkt, damit diese noch mehr Kapital anhäufen können.

 

Durch die neuen Möglichkeiten, die durch das Internet und Social Media geboten werden, verbreiten sich nun judenfeindliche Gedanken und antisemitische Verschwörungsfantasien viel schneller, als es davor möglich gewesen wäre. Ein großes Problem dabei ist der flapsige Umgang großer Portale wie YouTube, Facebook oder Twitter mit Judenfeindlichkeit in ihren Kommentar-Bereichen. Somit ist man oft nur einen Klick von Verschwörungen und Beschimpfungen entfernt. Es handelt sich hier also weniger um ein inhaltliches Problem der zur Verfügung gestellten Videos, Bilder oder Texte, sondern um ein User-Problem, da diese mit ihren Kommentaren andere Leute beeinflussen können.

 

Heute kommt die größte antisemitische Bedrohung, der das Volk Israel gegenübersteht, von den islamischen Nachbarstaaten und radikal-islamistischen Terror-Organisationen, die Israel auslöschen wollen. Aufgrund der Überzeugung der Muslime, dass die Welt ganz unter muslimische Herrschaft kommen muss, kann in ihrem Denkschema eine nicht-islamische Nation im Nahen Osten nicht geduldet werden. Also wollen sie den Staat Israel vernichten. Denn er ist ein jüdischer Staat, ein Staat für die Juden.

 

Zu den bemerkenswertesten Fällen antisemitischer Verfolgung zählen die Massaker im Rheinland im Jahr 1096; das Vertreibungsedikt von 1290; die europäische Judenverfolgung während der Pest zwischen 1348 und 1351; das Massaker an spanischen Juden im Jahr 1391, die Niederschlagung der spanischen Inquisition und die Vertreibung von Juden aus Spanien im Jahr 1492; die Kosakenmassaker in der Ukraine zwischen 1648 und 1657; verschiedene antijüdische Pogrome im Russischen Reich zwischen 1821 und 1906; die Dreyfus-Affäre zwischen 1894 und 1906; der Holocaust durch Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs; und verschiedene antijüdische Vorgehensweisen der Sowjetunion. 

 

Historisch gesehen fanden die meisten gewalttätigen antisemitischen Ereignisse weltweit im christlichen Europa statt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist jedoch ein starker Anstieg antisemitischer Vorfälle in der gesamten arabischen Welt zu verzeichnen, was vor allem auf die Zunahme arabischer antisemitischer Verschwörungstheorien zurückzuführen ist, die in gewissem Maße unter der Vorreiterrolle europäischer antisemitischer Verschwörungstheorien kultiviert worden sind.



• Geschichte des Antisemitismus in Deutschland

Die Wurzeln des heutigen Antisemitismus in Deutschland reichen zurück bis zur Entstehung des Christentums. Im Prozess der Ablösung des christlichen Glaubens vom Judentum wurden Juden beispielsweise für die Kreuzigung Jesus verantwortlich gemacht. Andere Verschwörungserzählungen entwickelten sich im Mittelalter, so zum Beispiel die Behauptung, Juden hätten die Brunnen vergiftet und so den Ausbruch der Pest verursacht. Immer wieder kam es zu antisemitischen Ausschreitungen und Pogromen, zum Beispiel in wirtschaftlichen Krisenzeiten oder während der Kreuzzüge.


Im Laufe der Jahrhunderte verfestigten sich antisemitische Stereotype in der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Demgegenüber standen starke Bemühungen der jüdischen Minderheit, sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich Fuß zu fassen. Mit dem Aufkommen der pseudowissenschaftlichen Rassenlehre im 19. Jahrhundert wurden Juden als eine „Rasse“ mit spezifischen negativen Eigenschaften konstruiert. Die Zuschreibung erfolgte nicht mehr über die Religion, sondern über die Abstammung. Im Zusammenhang mit der Herausbildung der Nationalstaaten und der Entstehung des Nationalismus in Europa wurden Juden zudem als nicht zugehörig definiert. Im Nationalsozialismus wurde Antisemitismus zur ideologischen Grundlage staatlichen Handelns. Die Ausgrenzung der Juden aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, die systematische Verfolgung und Ermordung wurden zum zentralen Projekt des nationalsozialistischen Staates. Die nicht jüdische Bevölkerung beteiligte sich mit großem Eifer an der Ausgrenzung, auch weil viele direkt davon profitierten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschärfte sich die antisemitische Politik des NS-Regimes. Die Nationalsozialisten und ihre Helfer verfolgten Juden, sperrten sie in Ghettos ein und deportierten sie in Konzentrations- und Vernichtungslager. Sechs Millionen Juden wurden ermordet. Nach 1945 wanderten die meisten überlebenden Juden in die USA und nach Israel aus, wo sie eine neue Heimat fanden. Die jüdische Minderheit in Deutschland blieb weiterhin regelmäßig antisemitischen Attacken und sogar Bomben- und Brandanschlägen ausgesetzt. Zahlreiche Juden starben bei diesen Angriffen. Große Teile der Gesellschaft wollten die deutschen Verbrechen so schnell wie möglich vergessen. Die Opfer des Nationalsozialismus und ihre Hinterbliebenen mussten eine Erinnerung an die Verbrechen gegen viele Widerstände erkämpfen.

 

Eine Zeitleiste des Antisemitismus

Die folgende Zeitleiste des Antisemitismus zeichnet Ereignisse in der Geschichte des Antisemitismus auf. Es umfasst Ereignisse in der jüdischen Geschichte und der Geschichte des antisemitischen Denkens, Maßnahmen, die unternommen wurden, um dem Antisemitismus entgegenzuwirken oder seine Auswirkungen zu lindern, und Ereignisse, die sich auf die Verbreitung des Antisemitismus in späteren Jahren auswirkten. Die Geschichte des Antisemitismus lässt sich von der Antike bis in die Gegenwart zurückverfolgen: Timeline of Antisemitism (engl.)

 

Wie äußert sich Antisemitismus

Antisemitismus drückt sich in einer großen Bandbreite von unterschwelliger bis unverhüllter Judenfeindschaft aus, angefangen von Ressentiments bis hin zu Mord und Ausrottungswillen (Holocaust). 

 

Weitere Formen sind: Haltung der Ablehnung, Verleumdung, Weltverschwörungs-Theorien, Diskriminierung, Verachtung, Pogrome, Verfolgung, Vertreibung, Bezichtigung der Juden als Gottes- oder Christus-Mörder, Sündenböcke und Quelle allen Übels, Holocaust-Leugnung, feindselige Haltung gegenüber dem Staat Israel, Bezichtigung Israels als „Tätervolk“ und Apartheid-Staat gegenüber Palästinensern.

 

Mit der Neugründung des Staates Israel 1948 setzte ein israelbezogener Antisemitismus ein, bei dem antisemitische Ressentiments weiter aufrecht gehalten und verbreitet wurden.

 

Die Grenze zwischen sachlich berechtigter Kritik an konkreten fehlerhaften Entscheidungen der Politik Israels und pauschaler, antisemitisch motivierter Fundamentalkritik wird durch die Umkehrung des Opfer-Täter-Schemas oft überschritten. Ein typisches Beispiel dafür ist die perverse Auffassung des Islamwissenschaftlers Udo Steinbach: „Die Israelis haben doch nichts von Auschwitz gelernt.“

 

Wie funktioniert Antisemitismus heute?

Knapp 80 Jahre nach dem Ende der Schoa, der brutalsten Antisemitismus-Bewegung im 20. Jahrhundert, ist Antisemitismus präsenter denn je. Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit haben uns die erneute Aktualität deutlich gezeigt. Nach dem entsetzlichen Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 sagte ein Überlebender des Holocaust: „Antisemitismus braucht keinen Grund, nur eine Gelegenheit.“

 

Der uralte Antisemitismus passt sich jeweils dem Zeitgeist an. Die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel zum Beispiel spricht davon, dass sich Judenfeindschaft wie ein Chamäleon verhalte. Die Erscheinungsform mag sich anpassen, je nachdem vor welchem (sozial-politischen) Hintergrund das Phänomen auftritt. Im Kern bleibt es aber erstaunlich gleich. Selbstverständlich artikulieren Judenhasser ihr Weltbild in Zeiten der Pest anders als in der von Corona und in Zeiten des Zweiten Weltkriegs anders als kurz nach 9/11. Grundmuster lassen sich aber über die Zeiten erkennen. Denn Antisemitismus will die Welt erklären und verklärt sie dabei. Er ist also immer historisch-konkret auf jeweilige Situationen angepasst, erfindet neue Codes und Metaphern, um dasselbe zu sagen: „Der Jude“ ist das Übel in der Welt, ein übermächtiger Feind, der im Hintergrund die Strippen zieht.


Um seiner Entlarvung zu entgehen, versteckt er sich gerne hinter der Fassade moralischer Entrüstung, gestützt auf politisch scheinbar „korrekte“ Argumente („political correctness“), mit denen die Juden und der Staat Israel als Sündenbock an den Pranger gestellt werden. Hier ist der Staat Israel „der Jude“ unter den Staaten.

 

Ein Phänomen der Moderne ist ein „Antisemitismus ohne (sichtbare) Antisemiten“. Mit pseudo-rationalen Argumentationsmustern geben sich Antisemiten als Biedermänner aus. In einer Haltung der Doppelmoral beteuern sie ihre Trauer über die jüdischen Holocaustopfer, fordern aber zynisch im gleichen Atemzug, Israel solle doch endlich aus dem Holocaust lernen und den Überlebenskampf zugunsten der Palästinenser aufgeben. Skrupellos treten Antisemiten für die atomare Bewaffnung des Iran ein und nehmen dabei bewusst in Kauf, dass das iranische Regime seinem erklärten Ziel der Vernichtung Israels so näherkäme.

 

Die BDS-Kampagne

Seit dem Jahr 2005 macht zusätzlich die BDS-Kampagne (BDS steht für Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) auf sich aufmerksam. Auch in Deutschland versuchen seit einigen Jahren Aktivisten unter dem Label „BDS“ den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zu Israel zu schaden. Die Kampagne zielt nicht nur auf die Beschädigung der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, sondern strebt eine internationale Isolierung des jüdischen Staates und letztlich seine Zerstörung an. Unternehmer, Verbraucher, Künstler und Sportler sollen jede Form der Zusammenarbeit mit Israel bzw. Juden/Israelis beenden. Dieser Angriff auf das Existenzrecht Israels ist nicht eine Randerscheinung der Kampagne, sondern bildet dessen Kern.

 

Im Zentrum der Kampagne steht das Narrativ, dass allein Israel die Verantwortung für den Konflikt mit den Palästinensern trage. Diese einseitige Schuldzuweisung sowie die immer wieder artikulierten Unwahrheiten über den jüdischen Staat und den Konflikt mit den Palästinensern führen zu einem verzerrten Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten.

 

Die Forderungen der Kampagne nach einem Boykott Israels erinnern deutlich an den NS-Boykott und die Parole „Kauft nicht bei Juden“. Daher gilt es, den Bestrebungen von BDS Einhalt zu gebieten, bevor noch größerer Schaden entsteht.

 

Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik

Der moderne Antisemitismus projiziert seine Judenfeindschaft mit Vorliebe auch auf den Staat Israel und stellt diesen durch überzogene einseitige Kritik, sogenannter Israelkritik, prinzipiell in Frage (nicht gemeint ist damit konstruktive, faktenbasierte Kritik). Der Historiker Leon Poliakov beschrieb dieses Phänomen so: „Israel ist der Jude unter den Staaten.“ Wurden vormals die Juden gehasst, ist es heute der Staat Israel als das wichtigste Symbol jüdischen Lebens. Der moderne Antisemitismus zweifelt Israels Existenzrecht an, brandmarkt die Juden, die Opfer des Holocaust, als Täter und stellt sie aufgrund doppelter Standards auf eine Stufe mit den Nazis. Der so genannte sekundäre Antisemitismus kann nicht oft genug schwören, nichts gegen die Juden zu haben (Zyniker fügen hinzu: „die toten Juden“). Zugleich dämonisiert er Israel unter dem Deckmantel der Friedensbemühung mit moralisch erhobenem Zeigefinger wegen seines Überlebenskampfes.

 

Der sich moralisch gebärdende Antisemitismus ignoriert, dass sich Israel in einem Dilemma befindet zwischen seinen eigenen hohen ethischen Maßstäben gemäß der Tora und dem alternativlosen Zwang, sich ständig mit militärischen Mitteln seiner sicheren Vernichtung widersetzen zu müssen. Tatsache ist, dass der jüdische Staat noch keinen einzigen Tag seit seiner Neugründung am 14. Mai 1948 ohne akute oder latente existentielle Bedrohung durch seine arabischen Nachbarn erlebt hat. Der Historiker Arno Lustiger stellte fest: „Wer den Nahen Osten kennt, der weiß: Wenn die Araber endlich ihre Waffen niederlegen, wird es dort keinen Krieg mehr geben. Wenn aber Israel die Waffen niederlegt, wird es kein Israel mehr geben.“

 

Der Begriff „Israelkritik“ ist allein schon ein Fall für sich. Begriffe wie „Polenkritik“ oder „Frankreichkritik“ werden kaum genutzt, bei Israel dagegen gibt es einen gängigen Begriff für die Tätigkeit, das Land zu kritisieren. Um sich hiervon ein Bild zu machen, reicht es „Israelkritik“ (ca. 100.000 Ergebnisse) und „Russlandkritik“ (ca. 8.000 Ergebnisse) hintereinander in Google einzugeben und die Zahl der Ergebnisse zu vergleichen.

 

Ein prominentes Beispiel: Über 50 Prozent aller UN-Resolutionen gingen in den letzten Jahren an Israel, den einzigen demokratischen Rechtsstaat in Nahost – eine Verzerrung grandiosen Ausmaßes. Dahinter steckt Antisemitismus.

 

Leider verknüpft sich Kritik an Israel meist mit einem ganzen Paket an antisemitischen Vorurteilen und judenfeindlichen Deutungen.

 

Worin unterscheidet man zwischen normaler Kritik an der Politik des Staates Israel und regelrechtem Antiisraelismus? Eine Frage die heute oft diskutiert wird. Klar, darf man Israel kritisieren. Die Frage ist allerdings, warum man das unbedingt will. Warum ist es wirklich so wichtig, Israel kritisieren zu dürfen? Die Antwort auf die Frage zeigt, ob sich dahinter eine antisemitische Haltung verbirgt. Immerhin erlebt man solche Kritik verhältnismäßig wenig bis gar nicht in Bezug auf andere Länder.

 

In Bezug zum Vergleich Israel mit dem Naziregime, dass der Staat Israel die Palästinenser im Gazastreifen wie in einem Ghetto, Konzentrationslager oder Freiluftgefängnis einsperrt: Dahinter steckt eine Art Entschuldungsmechanismus. Man meint, dass wenn man den Juden dasselbe vorwerfen könnte, was Hitler getan hat, dann wäre man so ungefähr quitt und plötzlich sagt man den Juden, dass sie mit den Palästinensern dasselbe machen. Dabei fehlt das Gespür für Relationen. Aber ob ich einen Zaun oder eine Mauer baue oder 6 Millionen Juden vergase, ist ein riesengroßer Unterschied.

 

Nicht jede Kritik an Israel oder an einer politischen Entscheidung der israelischen Regierung ist antisemitisch. Es muss auf die Absicht des Kritikers geachtet werden. Hier wird es manchmal schwierig. Ob es sich um eine antisemitische Absicht eines „Israelkritikers“ handelt, kann man oft nur erfahren, wenn man die Denkweise des Kritikers kennt. Dort, wo der antisemitische Charakter von Aussagen oder Taten nicht eindeutig ist, ist Fingerspitzengefühl gefragt, nicht der automatische Alarmruf.

 

Dennoch wird heutzutage Antisemitismus mit Vorliebe auf den Staat Israel projiziert. Eine wirkliche Diskussion über „Zionismus“ oder eine normale kritische Debatte über Israel ist jedoch immer schwieriger zu führen. Die Standpunkte haben sich verhärtet. Die Emotionen schaukeln sich schnell hoch. Das zeigt sich im Internet und in den sozialen Medien. Dort wird Israel regelmäßig mit Nazi-Deutschland verglichen. Dann ist zu lesen: Was Israel heute mit den Palästinensern macht, ist das Gleiche wie die systematische Vernichtung der Juden durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg. Dieser Vergleich ist nicht nur unangebracht, sondern auch falsch und verletzend. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern gibt es Opfer. Doch von Vernichtung, einem Genozid, kann nicht die Rede sein. Wenn man solche Vergleiche anstellt, ist das tatsächlich antisemitisch.

 

Da in der Debatte, wann Kritik an Israel antisemitisch ist und was legitime von nicht-legitimer Kritik unterscheidet, oft Unklarheit herrscht, können folgende Definitionen als Anhaltspunkte dienen:

 

Kritik an Israel ist antisemitisch,...

 

1. wenn Israels Existenzrecht und/oder das Recht zur Selbstverteidigung in Frage gestellt wird;

2. wenn Israel mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere Länder;

3. wenn mit antisemitischen Redewendungen, Symbolen oder Bildern über Israel gesprochen wird zum Beispiel, wenn Israelis als das „Übel der Welt“ verteufelt und dämonisiert werden;

4. wenn die israelische Politik oder Juden/Israelis mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt werden;

5. wenn Juden/Israelis weltweit für die Politik Israels verantwortlich gemacht werden.

 

Antisemitismusdefinition per 3D-Methode

Oft werden drei Kriterien angeführt, um antisemitisches Gedankengut bestimmen zu können.

 

Mit der sogenannten 3-D-Methode lässt sich bestimmen, ob es sich bei einer Äußerung um legitime Kritik an Israels Politik oder Juden/Israelis handelt oder die Grenze zum Antisemitismus überschritten wird. Das ist der Fall, wenn Dämonisierung, Doppelstandards oder Delegitimierung Israels im Spiel sind. Der Schnelltest wurde 2004 vom israelischen Politiker und Wissenschaftler Nathan Sharansky entwickelt, um Texte und Äußerungen systematisch daraufhin zu prüfen, ob sie antisemitisch sind. Er hat sich seitdem in der Wissenschaft und vor allem in Politik und Zivilgesellschaft bewährt.

 

Dämonisierung („die Juden sind böse, grausam, teuflisch… “)

Dämonisierung oder „Verteufelung“ ist die Darstellung einer anderen Person oder Gruppe, des Gegners oder Feindes als wesensmäßig böse. In der Regel ist sie mit einer Entmenschlichung (Dehumanisierung) verbunden, die dem Gegner die Menschlichkeit, die Menschenwürde und den Anspruch auf Menschenrechte abspricht. Klassisch antisemitische Dämonisierung von Juden umfasst die Vorwürfe von Gottes- oder Christusmord, Brunnenvergiftung, angebliche jüdische Verantwortung für Krankheiten und Seuchen, sowie den Tropus, Juden tränken das Blut nicht-jüdischer Kinder oder nutzten es zur Herstellung von Matzen. In der literarischen Darstellung von Shakespeares Shylock wird der Jude als geldgierig und hinterhältig dargestellt. Krude weltverschwörerische Vorstellungen von vermeintlichem jüdischen Streben nach Weltherrschaft gehören ebenfalls zum festen Kern des Antisemitismus. Moderne Beispiele für Dämonisierung sind Aussagen wie „Israel ist ein Terrorregime, Terrorstaat bzw. Apartheidstaat“, „Kinderschänder oder Kindermörder Israel“, „Israel ist unser Unglück“ oder der z.B. vom iranischen Regime propagierte Spruch „Israel ist Satan“. So wird Israel auch dämonisierend als „Israhell“ bezeichnet. Als Analogie dazu dienen verbreitete Vergleiche von Juden/Israelis mit den Nationalsozialisten, etwa indem man palästinensische Flüchtlingslager mit dem Vernichtungslager Auschwitz oder den Gazastreifen mit dem Warschauer Ghetto gleichsetze. Solche Vergleiche zeigen entweder völlige Unkenntnis der Zeit des Nationalsozialismus oder, wahrscheinlicher, die Absicht, das heutige Israel als Inbegriff des Bösen darzustellen.

 

Doppelstandards (von den Juden erwartet man mehr als von anderen und von  sich selbst).

Seit tausenden von Jahren ist ein klares Zeichen von Antisemitismus, Juden anders als andere Menschen zu behandeln, angefangen von den diskriminierenden Gesetzen, die viele Nationen gegen sie erlassen haben, bis hin zu der Neigung, ihr Verhalten nach einem besonderen Maßstab zu bemessen. Ein Doppelstandard (Doppelmoral) liegt vor, wenn Israel anders als andere Staaten behandelt und selektiv für ein Verhalten kritisiert wird, das bei anderen Staaten ignoriert wird. Das ähnelt früherer Diskriminierung von Juden durch Gesetze der Mehrheitsgesellschaft. Als Beispiele dienen UN-Resolutionen gegen Menschenrechtsverletzungen Israels, nicht aber gegen ebensolche von China, Iran, Kuba oder Syrien. Weitere Beispiele sind die Verurteilung von israelischen Militärschlägen oder Sanktionen gegen palästinensische Terror-Organisationen, bei gleichzeitigem Schweigen über den Raketenbeschuss auf Israel vonseiten dieser Organisationen und andere Terroranschläge gegen die israelische Zivilbevölkerung, sowie einseitige Kritik an Israels Umgang mit Palästinensern, bei gleichzeitiger Hinnahme der brutalen Unterdrückung von Juden, Andersdenkenden oder Homosexuellen in den arabischen Nachbarländern.

 

Delegitimierung („die Juden bzw. den Staat Israel sollte es gar nicht geben“)

Kritik ist antisemitisch, die dem Staat Israel seine grundsätzliche Legitimation zu entziehen sucht und ihm sein Existenzrecht abspricht, etwa indem sie ihn als Überrest des Kolonialismus darstellt. Dabei werde Juden anders als anderen Völkern nicht das Recht zugestanden, geschützt in einem eigenen Staat zu leben. Darin setzt sich die analoge Entwertung des Judentums als Religion und/oder Volk fort. Hierzu zählen auch die Absprache des Selbstverteidigungsrechts Israels sowie Geschichtsfälschung oder Verschwörungstheorien hinsichtlich der Staatsgründung Israels. Kritik am jüdischen Staat ist nicht per se antisemitisch, wenn man aber Juden das Recht auf einen eigenen Staat abspricht oder Israels Existenzrecht leugnet, ist das eine rote Linie, bei der Israelkritik antisemitisch wird. Allein der Umstand, dass es Begriffe, wie „Israelkritik“ und „Existenzrecht Israels“ gibt, die so für keinen anderen Staat der Welt bestehen, machen deutlich, wie weit verbreitet und kraftvoll Delegitimierung ist. Eine zentrale Lehre aus dem Holocaust ist, dass der jüdische Staat notwendig für den Schutz jüdischen Lebens ist. Das Einstehen für das Existenzrecht Israels ist deshalb nicht umsonst Teil der deutschen Staatsräson.

 

Antisemitismus in Verbindung mit Verschwörungstheorien

Im Mythos einer jüdischen Weltverschwörung werden alle abstrakten, verunsichernden Anteile moderner Gesellschaften zum Teil eines großen Masterplans gegen alle Nicht-Juden erklärt. Antisemiten und Verschwörungsideologen zeichnen ein Bild der Gesellschaft, in dem abgrundtief böse Menschen die Versklavung oder Vernichtung aller „Guten“ und alles „Gutem“ anstreben. Damit „erklären“ Antisemiten widersprüchliche politische, wirtschaftliche und geschichtliche Ereignisse.

 

Sie entwerfen ein apokalyptisches Bild, aus dem es nur einen Ausweg zu geben scheint: den Kampf der „Guten“ gegen die „Verschwörung“. Dies hat konkrete Konsequenzen für diejenigen, die als Verschwörer identifiziert werden. Denn wenn sich die „Verschwörung“ vermeintlich nicht an Gesetze und Regeln hält, muss es die andere Seite auch nicht – so zumindest stellen es Verschwörungsideologien dar. Der Holocaust ist das mörderische Beispiel dafür, wie der antisemitische Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“ zur Vernichtung von Millionen Menschen führen kann.

 

Auch in der Corona-Krise bezogen sich viele Verschwörungserzählungen auf diesen Mythos. Vor allem dann, wenn sie sich zu einer Ideologie verdichten, welche „das Große Ganze“ zu erklären vorgibt. Eine Verschwörungsideologie ist daher, zumindest strukturell, immer antisemitisch. Die Stereotype, mit denen die vermeintlichen Weltverschwörer beschrieben werden (hinterlistig, gierig, blutrünstig, bösartig, manipulativ; Kontrolle über Wirtschaft, Politik, Medien, Kultur, Bildung etc.), decken sich mit denen, die im Antisemitismus seit Jahrhunderten Juden zugeschrieben werden. Der Blick in die Geschichte zeigt: Der bösen „Weltverschwörung“ werden immer wieder neue Mittel, Personen und Gruppen zugeordnet; fester Bestandteil bleiben jedoch „die Juden“.

 

Seitdem öffentliche antisemitische Äußerungen sozial immer mehr tabuisiert sind, nutzen Verschwörungsideologen bewusst und unbewusst Codes und Chiffren, um den Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“ zu verbreiten. Ob Familie Rothschild, Anetta Kahane oder George Soros: Wenn die Menschen, hinter den „Finanzeliten“ oder der „Neuen Weltordnung“ (NWO) konkret benannt werden, wird jüdischen Menschen eine zentrale Rolle zugeschrieben.

 

Ein Extrembeispiel aus der Geschichte für Antisemitismus in Verbindung mit Verschwörungstheorien ist der antisemitische Verschwörungsglaube selbst. Wenn es um die bösen Mächte im Hintergrund geht, die nach den Verschwörungstheorien die Fäden der Welt ziehen, dann wird häufig wieder ein uraltes Feindbild ausgepackt. Teilweise direkt unmissverständlich, teilweise aber auch nur indirekt und nicht sofort erkenntlich ist immer wieder von „den Juden“ oder „den Zionisten“ die Rede, die global an den Schaltzentren der Macht sitzen sollen. Die Geschichte hat gezeigt, wie fatal und tödlich derartige Verschwörungstheorien sein können.

 

Warum sind auch heute ausgerechnet Juden in den meisten Verschwörungstheorien immer noch das Feindbild Nummer Eins?

 

Alle unverstandenen Ereignisse und beunruhigende Entwicklungen werden auf die Juden, die Zionisten oder Israel projiziert. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung ist stark verbreitet, auch wenn dafür oft andere Begriffe und Feindbilder verwendet werden. Der moderne Antisemit versichert gerne, auf jeden Fall nichts gegen Juden zu haben, bevor er gegen Zionisten oder Zionismus hetzt.

 

Schon seit dem Mittelalter mussten Juden als Ursache für unerklärliche Zusammenhänge herhalten. Hierzu zählt z. B. die im Mittelalter beliebte Theorie der Brunnenvergiftung durch Juden, die dadurch angeblich die Christenheit vernichten wollten. Dies gipfelte in dem Feindbild „Jude“, dass im 3. Reich von den Nationalsozialisten propagiert wurde – und zum Tod von 6 Millionen Juden führte.

 

Wenn man jetzt meint, dass es bei Gläubigen doch nie zu so einem Extrem kommen kann – die Haltung mancher Christen im 3. Reich zeigt das Gegenteil. Wir alle sind beeinflussbar.

 

Lies hierzu auch unseren Beitrag „Verschwörungstheorien – Klarheit für das Volk Gottes


Gottes Segen Euch allen!

 

1. Thessalonicher 5,23

„Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!“

 

Amen